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Nur drei Fragen,
Herr Präsident!

Personalisierte Medizin: der nächste große Schritt in der Therapie von Gehirnerkrankungen

Prof. Dr. Grefkes-Hermann

Professor Christian Grefkes-Hermann (46) ist dieses Jahr so beschäftigt wie selten zuvor. Erst zum Jahresanfang 2023 trat er die ärztliche Leitung der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Frankfurt an. Seit dem DGKN-Kongress für Klinische Neurowissenschaften DGKN23 Anfang März hat er auch die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. übernommen. Der ausgewiesene Schlaganfallexperte will die Frankfurter Universitätsneurologie zu einem deutschen Spitzenzentrum für Interventions- und Stimulationsverfahren ausbauen. Als Kongresspräsident des DGKN24 in Frankfurt rückt er die personalisierte Medizin in den Fokus. Für beide Aufgaben muss er entscheidende Weichen stellen: für eine engere Zusammenarbeit zwischen einerseits Neurowissenschaften und Neurophysiologie und andererseits Big Data sowie Künstlicher Intelligenz.

Hans Berger
Im Jahr 1924 entwickelte der Jenaer Mediziner
Hans Berger das EEG.

1.
Herr Professor Grefkes-Hermann, welchen Stellenwert hat die Neurophysiologie im Jahr 2023 – fast 100 Jahre nach den ersten EEG-Ableitungen am Menschen?

Die klassische Methode des Elektroenzephalogramms (EEG) ist nach wie vor die einzige direkte nicht-invasive Möglichkeit, Nervenzell-Aktivitäten zu beobachten. Sie erfährt in Kombination mit stark gestiegener Rechenleistung, neuen Algorithmen und Künstlicher Intelligenz eine Renaissance. Die Klinische Neurophysiologie befindet sich, wie überhaupt die Neurowissenschaften insgesamt, gerade in einer äußerst spannenden Phase. Wir können viel komplexere Daten auswerten und maschinell interpretieren lassen.

Damit ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Therapie von Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Fast 100 Jahre nachdem der Jenaer Neurologe und Psychiater Hans Berger 1924 die ersten EEGs am Menschen vornahm, hat das Elektroenzephalogramm nichts an seiner Faszination und Bedeutung verloren. Dazu passt übrigens auch, dass die Geschäftsstelle der DGKN heute wieder in Jena angesiedelt ist, der Geburtsstätte des EEGs.

Image
EEG-Elektroden zur Ableitung von Hirnströmen.
(c) DGKN/ UKJ/ Klin. Medienzentrum/ I. Rogast

2.
Als Präsident des Kongresses für Klinische Neurowissenschaften 2024 in Frankfurt haben Sie den wissenschaftlichen Schwerpunkt „Personalisierte Medizin“ ausgewählt. Warum?

Die klinische Neurophysiologie kann dazu beitragen, maßgeschneiderte Therapien für Erkrankungen des zentralen Nervensystems zu entwickeln – ähnlich wie in der Onkologie, bei der heute Tumore einzelner Patientinnen und Patienten charakterisiert und beispielsweise gezielt Antikörper eingesetzt werden. Auch bei neurologischen Erkrankungen gibt es aufgrund zahlreicher Faktoren, darunter genetische Ausstattung oder Umwelteinflüsse, eine große Variabilität. Zwar sind heutige Behandlungsstrategien bereits an den individuellen Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten orientiert, wirklich individualisiert, d.h. an der spezifischen Netzwerkstörung des Gehirns ausgerichtet, sind aber die wenigsten Therapieverfahren.

Dabei wissen wir schon lange, dass äußerlich ähnliche neurologische Symptome, beispielsweise eine Lähmung, mit völlig unterschiedlichen Netzwerkstörungen einhergehen können. Dies erklärt auch, warum manche Patientinnen oder Patienten von einer Standardtherapie profitieren, andere jedoch nicht, und wieder andere sich sogar darunter verschlechtern.

Mit Methoden wie dem EEG oder der funktionellen MRT erzeugen wir von einer bestimmten Person immer individuelle Datensätze. Wir müssen lernen, diese Daten nicht allein für die klinische Diagnostik zu nutzen, sondern auch gezielt für eine maßgeschneiderte Therapie einzusetzen. Die vergangenen fünf bis zehn Jahre haben viele neue Erkenntnisse gebracht, die wir beim DGKN24 in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Programms stellen werden.

Gemeinsam sind wir exzellent

Werden Sie Mitglied in der DGKN e.V. und lassen Sie sich Ihre neurophysiologische Arbeit zertifizieren. Finden Sie die passende Mitgliedschaft in unserer Community – vom Studium bis zum aktiven Ruhestand.

3.
Was kann die DGKN zur Personalisierung der Neuromedizin beitragen?

Die DGKN ist mit ihrem Kongress, der Fortbildungsakademie (FBA) und den Jungen Klinischen Neurophysiologen (JKN) die richtige Organisation, um die personalisierte Medizin in der Neurophysiologie voranzubringen. Mir ist es besonders wichtig, dass wir ein international hochkarätiges wissenschaftliches Programm für den DGKN24 in Frankfurt zusammenstellen können und die Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Neurowissenschaften sowie Medizintechnik und Informatik mit Schwerpunkt Big Data und KI deutlich voranbringen.

Die Voraussetzungen innerhalb der DGKN sind hervorragend: Immerhin ist die klinische Neurophysiologie in Deutschland weltweit in einer Spitzenposition und die DGKN die größte Gesellschaft in Europa auf diesem Gebiet. In den letzten Jahren haben viele systemneurowissenschaftliche Arbeitsgruppen in Deutschland herausragende Erkenntnisse zur Funktionsweise des Gehirns bei Gesunden und bei neurologisch oder auch psychiatrisch erkrankten Patientinnen und Patienten gewonnen.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren wollen wir nicht nur die Führung halten, sondern das Feld der diagnostischen und vor allem therapeutischen Einsatzmöglichkeiten neurophysiologischer Methoden deutlich weiterentwickeln. Hier ist auch eine verstärkte Interaktion mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – unserer Partnergesellschaft – geplant. Nur so schaffen wir es, neue Behandlungsmethoden in den klinischen Alltag und schließlich zu den Patientinnen und Patienten zu bringen.

Wir alle wissen: Neurologische Erkrankungen gehören in einer immer älter werdenden Gesellschaft zu den größten medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

 

Porträt Prof. Dr. med. Grefkes-Hermann