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Nur vier Fragen,
Herr Präsident!

Künstliche Intelligenz, Versorgung, USA: Die neurophysiologische Kompetenz in Klinik und Wissenschaft dauerhaft sicherstellen

Prof. Dr. Rémi

Prof. Dr. Jan Rémi ist seit März 2025 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V.

Der stellvertretende Klinikdirektor der Neurologie und Leiter des Epilepsie-Zentrums sowie der EEG-Video-Monitoring-Einheit am LMU Klinikum München leitet auch die EEG-Kommission der DGKN. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in den Bereichen Epilepsie, Schlafmedizin und neurologische Intensivmedizin. In seiner Forschung verbindet er die klinische Anwendung neurophysiologischer Methoden mit grundlegenden neurowissenschaftlichen Fragestellungen. Im Jubiläumsjahr der DGKN spricht Prof. Rémi über die Errungenschaften der Fachgesellschaft, aktuelle Herausforderungen sowie die Bedeutung der Neurophysiologie in Zeiten sich wandelnder Gesundheitssysteme. Er betont den Wert der Freiheit in der Forschung und möchte den wissenschaftlichen und medizinischen Nachwuchs für neurophysiologische Methoden begeistern und für das Potenzial neuer Technologien und KI.

1.
Im Jahr 2025 feiert die DGKN ihr 75-jähriges Jubiläum. Was sind die wichtigsten Errungenschaften der Fachgesellschaft für das Verständnis der Hirnfunktion, und welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?

Bereits die Gründung der Fachgesellschaft im Jahr 1950, damals als Deutsche EEG-Gesellschaft, war ein Meilenstein. Das EEG entwickelte sich zu dieser Zeit rasant und ist bis heute eine der wichtigsten neurophysiologischen Methoden, um Hirnerkrankungen zu verstehen. Im Laufe der Zeit wurde das Fach Neurophysiologie immer breiter, es kamen viele weitere Methoden hinzu, und die DGKN musste sich neu strukturieren, um deren Qualität sicherzustellen.

Die wichtigste Zwischenstation war die Digitalisierung, die den täglichen Umgang mit den Methoden völlig veränderte und neue Möglichkeiten geschaffen hat. Eine der größten Herausforderungen ist heute, Big Data und KI richtig in unsere Methoden zu integrieren und die menschliche Expertise zu sichern. Unabhängig von diesen technischen Entwicklungen stellt sich immer die Frage, wie viel Zeit für Neurophysiologie angesichts einer Ökonomisierung der Kliniken bleibt. Es ist wichtig, nach außen zu tragen, was wir für Diagnostik und Therapie leisten, damit unsere Patientinnen und Patienten weiterhin von diesen Methoden profitieren. Wir müssen angesichts der sich ändernden Versorgungslandschaft wachsam bleiben, damit wichtige Aspekte der neurologischen Versorgung nicht vernachlässigt werden. Die DGKN bietet eine Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen in diesem komplexen, sich ständig weiterentwickelnden Fachgebiet. Sie unterstützt dabei, mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten und die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.

2.
Sie haben das Motto "Neuronale Funktion: Verstehen, Erhalten, Modulieren" für den DGKN-Kongress 2026 gewählt. Wie spiegelt sich dieses Motto in den Zielen Ihrer Präsidentschaft wider?

Das Motto bildet ab, wofür wir als Fachgesellschaft stehen. Wir wollen Hirnfunktionen verstehen und erhalten, beispielsweise durch Therapiemonitoring oder innovative Stimulationsverfahren wie die Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson. Und wir wollen Hirnfunktionen modulieren, wo aktuell die nicht-invasive und tiefe Hirnstimulation dies schon vollziehen und zukünftig Brain-Computer-Interfaces eine wichtige Rolle spielen werden.

Mit dem Kongress möchte ich eine Brücke bauen zwischen verschiedenen Bereichen unseres Fachgebiets – von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen über Klinikerinnen und Kliniker in Spezialambulanzen bis hin zu Forschenden. Auch methodisch streben wir eine Vernetzung an, um beispielsweise das Therapiemonitoring durch die Kombination verschiedener Ansätze zu optimieren.

Ich sehe meine Präsidentschaft als Chance, die DGKN in ihrer Rolle als innovative und patientenorientierte Fachgesellschaft weiter zu stärken und zukunftsweisende Entwicklungen in der klinischen Neurophysiologie und Neurowissenschaft voranzutreiben.

3.
Die Neurophysiologie mit ihrer breiten Vielfalt spezialisierter Methoden profitiert von interdisziplinärerer und internationaler Zusammenarbeit. Die Forschungslandschaft in den USA erlebt derzeit Einschränkungen. Wie wird sich dies auf die deutsche Forschung auswirken?

Die aktuelle Situation in den USA mit finanziellen Einschränkungen und Entlassungen von Forschenden ist besorgniserregend. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir kooperieren und an ähnlichen Zielen arbeiten, werden dort Probleme haben. Der potenzielle Verlust an Expertise ist problematisch. Interessant wird sein, ob dies zu einem verstärkten Zuzug von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in die EU führt.

Die Situation mag eine Herausforderung darstellen, aber Wissenschaft ist global. Wenn Forschende aus den USA bestimmte Aspekte nicht mehr bearbeiten können, werden wir im Austausch bleiben und vielleicht einige Fragestellungen übernehmen. In jedem Fall plädiere ich dafür, dass wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen. Die Freiheit, Fragen zu stellen, diese kritisch zu beleuchten und offen zu diskutieren, ohne externe Einschränkungen, ist eine unserer großen Stärken in Deutschland

Gemeinsam sind wir exzellent

Werden Sie Mitglied in der DGKN e.V. und lassen Sie sich Ihre neurophysiologische Arbeit zertifizieren. Finden Sie die passende Mitgliedschaft in unserer Community – vom Studium bis zum aktiven Ruhestand.

4.
Was ist Ihre Botschaft, um den medizinischen Nachwuchs für die Neurophysiologie zu begeistern? Welche Zukunftsperspektiven und Fortschritte erwarten Sie im Fachgebiet?

Die Neurophysiologie ist der logische nächste Schritt nach Anamnese und körperlicher Untersuchung. Neurologinnen und Neurologen mit neurophysiologischer Expertise können nicht nur verstehen, wo ein Problem im Nervensystem liegt, sondern Signale von Hirnzellen und deren Weiterleitung über periphere Nerven sogar sichtbar machen. Diese Faszination vermittle ich täglich, etwa beim Besprechen von EEG-Befunden mit Assistenz-Ärztinnen und -Ärzten. In den nächsten Jahren erwarte ich, dass KI-Anwendungen fest in den Alltag integriert sein werden und die Neurophysiologie in Klinik und Forschung prägen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir weiterhin die Integratoren sind, die die Bedeutung der Ergebnisse interpretieren müssen.

Die größte Herausforderung wird sein, trotz der Verlockung einfacher KI-Lösungen kritisch zu hinterfragen, ob die Ergebnisse im Gesamtkontext stimmig sind. Wir müssen weiterhin verstehen, was am Nerven oder Gehirn passiert, und nicht nur bunte Flecken auf dem Bildschirm betrachten. So wird die Neurophysiologie lebendig bleiben. Aufgabe der DGKN ist, Begeisterung zu vermitteln an der Arbeit mit neurophysiologischen Methoden und auch am Fortschritt, der jetzt durch neue Technologien und KI möglich ist.

 

Porträt Prof. Dr. med. Jan Rémi