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Neue Generation der Tiefen Hirnstimulation: Hoffnung für Menschen mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen

Pressekonferenz 2025 — Neurologische und psychiatrische Erkrankungen sind eine wachsende globale gesundheitliche und sozioökonomische Herausforderung. Dennoch sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt, vor allem bei Funktionsstörungen tiefer Hirnstrukturen wie Alzheimer, Parkinson, bestimmten Formen der Epilepsie oder Depression. Fortschritte der Neurotechnologie, wie die transkranielle temporale Interferenzstimulation (tTIS) zur nicht-invasiven Modulation tiefer Hirnregionen, könnten die Behandlung solcher Erkrankungen grundlegend verändern. „Die tTIS ist eine vielversprechende Methode der Neuromodulation, die im Gegensatz zur klassischen Tiefen Hirnstimulation keinen neurochirurgischen Eingriff erfordert“, erklärt Prof. Friedhelm Hummel, Professor für Clinical Neuroengineering an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und assoziierter Professor für klinische Neurowissenschaften an der Universitätsklinik Genf. Anlässlich des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) in Frankfurt fasst er die Potenziale und Perspektiven der neuen Technologie zusammen.

Zentrale tiefe Hirnregionen, wie der Hippocampus oder das Striatum, sind entscheidend für kognitive und motorische Funktionen, einschließlich Lernen, Gedächtnis und Wiederherstellung nach Schädigungen durch neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Alzheimer, Parkinson) oder Hirnverletzungen (Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Traumatische Hirnverletzungen). Diese Strukturen sind vielversprechende Ziele für die Neuromodulation, um kognitive Funktionen zu verbessern und den Erholungsprozess zu fördern. Bisher war ihre gezielte Stimulation jedoch fast ausschließlich durch invasive neurochirurgische Eingriffe möglich – eine Methode, die aufgrund ihres Risikoprofils und hohen Kosten nur begrenzt klinisch anwendbar ist.

Gedächtnisleistung und Rehabilitation: Studienergebnisse

Die tTIS, maßgeblich von Prof. Hummel und seinem Forschungsteam für die Anwendung am Menschen weiterentwickelt, ermöglicht erstmals die gezielte, nicht-invasive Stimulation tiefer Hirnregionen ohne Operation [1-4]. Aktuelle Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse: So konnte durch die gezielte Stimulation des Hippocampus mittels tTIS in Kombination mit Virtual-Reality-Training eine signifikante Verbesserung der räumlichen Gedächtnisleistung erzielt werden [4]. Dies könnte besonders für ältere Menschen, Patientinnen und Patienten mit Hirnverletzungen oder an Demenz erkrankte Personen von großer Bedeutung sein. Ebenso konnte tTIS bereits erfolgreich zur nicht-invasiven Neuromodulation tiefer Hirnstrukturen eingesetzt werden, die für das Erlernen neuer Fähigkeiten und somit die Rehabilitation nach Hirnschädigungen essenziell sind [1].

Breite Anwendung in Neurologie und Psychiatrie

Ein entscheidender Vorteil der tTIS gegenüber herkömmlichen Methoden, der neue therapeutische Möglichkeiten eröffnet, ist neben der Stimulation tiefer Hirnregionen ohne Operation die präzise Zielsteuerung, ohne oberflächliche Regionen zu beeinflussen. Die tTIS kann zudem individuell an die Hirnstruktur und Hirnaktivitätsmuster jedes Patienten angepasst werden und ermöglicht so die personalisiertea Neuromodulation.

Das Anwendungspotenzial von tTIS erstreckt sich über ein breites Spektrum von Erkrankungen. In der Schlaganfall-Rehabilitation könnte die Technologie zur Förderung der motorischen Erholung eingesetzt werden. Bei der Parkinson-Krankheit zeigt sich das Potenzial einer Modulation der Aktivität der Basalganglien zur Linderung sowohl motorischer als auch nicht-motorischer Symptome. Für Alzheimer und Demenz eröffnet die gezielte Stimulation des Hippocampus und der Gedächtnisnetzwerke neue Möglichkeiten zur Verbesserung kognitiver Funktionen. Auch bei psychiatrischen Erkrankungen wie Angststörungen, PTSD, Sucht und Depression könnte die Modulation von Belohnungs-, limbischen und präfrontalen Schaltkreisen neue Therapieansätze bieten.

KI und Personalisierung: Zukunftsperspektiven

Die Weiterentwicklung der tTIS-Technologie konzentriert sich nun auf die Optimierung personalisierter Stimulationsprotokolle und die Integration mit künstlicher Intelligenz und Neuroimaging für adaptive, individuell zugeschnittene Behandlungen. Parallel dazu sind umfangreiche klinische Studien geplant, um die Wirksamkeit der nicht-invasiven tiefen Hirnstimulation weiter zu validieren und ihr Potenzial als transformative therapeutische Methode in Neurologie und Psychiatrie zu bestätigen. „Die nicht-invasive tiefe Hirnstimulation mittels tTIS könnte die Behandlungslandschaft in Neurologie und Psychiatrie grundlegend verändern. Sie bietet neue Hoffnung für Menschen mit bisher schwer behandelbaren Erkrankungen und hat das Potenzial, die Lebensqualität vieler Menschen signifikant zu verbessern“, sagt Prof. Hummel. Mit der Weiterentwicklung dieser Technologie steht die Neurowissenschaft möglicherweise an der Schwelle zu einer neuen Ära der personalisierten und schonenden Hirnstimulationstherapie.

Literatur

[1] Wessel MJ, Beanato E, Popa T, et al. Noninvasive theta-burst stimulation of the human striatum enhances striatal activity and motor skill learning. Nat Neurosci. 2023;26(11):2005-2016. doi:10.1038/s41593-023-01457-7

[2] Vassiliadis P, Stiennon E, Windel F, Wessel MJ, Beanato E, Hummel FC. Safety, tolerability and blinding efficiency of non-invasive deep transcranial temporal interference stimulation: first experience from more than 250 sessions. J Neural Eng. 2024;21(2):10.1088/1741-2552/ad2d32. Published 2024 Mar 11. doi:10.1088/1741-2552/ad2d32

[3] Vassiliadis, P., Beanato, E., Popa, T. et al. Non-invasive stimulation of the human striatum disrupts reinforcement learning of motor skills. Nat Hum Behav 8, 1581–1598 (2024). doi:10.1038/s41562-024-01901-z

[4] Beanato E, Moon HJ, Windel F, et al. Noninvasive modulation of the hippocampal-entorhinal complex during spatial navigation in humans. Sci Adv. 2024;10(44):eado4103. doi:10.1126/sciadv.ado4103

 
Kontakt zur Pressestelle der DGKN

Sandra Wilcken, c/o albertZWEI media GmbH, Tel.: +49 (0) 89 461486-11, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Hinweis für die Presse

Der DGKN-Kongress für Klinische Neurowissenschaften findet vom 12. bis 15. März 2025 in Frankfurt statt. Alle Informationen zum Programm und zur Registrierung gibt es auf www.kongress-dgkn.de. Journalistinnen und Journalisten können sich über das Kongressportal kostenlos für den DGKN-Kongress registrieren. Informationen zur Online-Pressekonferenz anlässlich des DGKN-Kongresses finden Sie hier: www.dgkn.de/dgkn/presse.

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Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V. vertritt die Interessen von Medizinerinnen und Medizinern sowie Forschenden, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft mit über 4.400 Mitgliedern fördert die Erforschung von Gehirn und Nerven, sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten und treibt Innovationen auf diesem Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen. www.dgkn.de