Pressekonferenz 2025 — Epilepsien im Kindesalter sind häufig – in Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 60.0000 Kinder und Jugendliche betroffen. Während die meisten pädiatrischen Epilepsien gut behandelt werden können oder spontan sistieren, können schwere Verlaufsformen, besonders bei frühem Krankheitsbeginn, die Hirnentwicklung erheblich beeinträchtigen. Aktuelle Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich hauptsächlich auf anfallssupprimierende Medikamente, die jedoch die kognitive Entwicklung nicht direkt beeinflussen können. „Die Entwicklung von Therapieansätzen, die über die reine Anfallskontrolle hinaus auch die damit einhergehende Enzephalopathie behandeln, ist deshalb essenziell“, betont Susanne Schubert-Bast, Professorin für Pädiatrische Epileptologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Auf dem Kongress für Klinische Neurowissenschaften 2025 in Frankfurt stellt sie als Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e. V. die Fortschritte der Therapie von schwer behandelbaren Epilepsien, bis hin zu krankheitsmodifizierenden Ansätzen vor.
Epilepsien im Kindesalter treten in allen Altersgruppen auf, mit einem Häufigkeitsgipfel im ersten Lebensjahr. Die Ausprägungen variieren stark, von selbstlimitierenden Epilepsien mit guter Prognose bis hin zu schweren epileptischen Enzephalopathien mit therapierefraktären Anfällen und ungünstiger kognitiver Entwicklung [1]. Obwohl bis zu 70 % der pädiatrisch-epileptischen Erkrankungen remittieren, haben alle Kinder mit chronisch aktiven Epilepsien ein erhöhtes Risiko für Probleme in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie im emotionalen und sozialen Verhalten [2].
Kinder mit Epilepsien benötigen im schulischen Alltag häufiger spezielle Unterstützung und zusätzliche Förderhilfen als Gleichaltrige (53 % vs. 18 %), wobei diese in über 80 % der Fälle bereits vor dem ersten Anfall in Anspruch genommen wurden [3]. „Die frühe Erkennung und Kontrolle von epileptischen Anfällen im Kindesalter sind entscheidend, um negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung zu minimieren und die bestmöglichen Entwicklungschancen für die betroffenen Kinder zu gewährleisten“, betont Prof. Schubert-Bast. Weitere Forschung und verbesserte Behandlungsstrategien sind dringend erforderlich, um sowohl die Patientenergebnisse zu verbessern als auch die wirtschaftliche Belastung des Gesundheitssystems zu verringern [4].
Innovative Ansätze in Forschung und Therapie
Bei Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie sind individuelle Behandlungspläne, die neben der Auswahl geeigneter anfallssuppressiver Medikamente (ASM) auch nicht-pharmakologische Ansätze wie Ernährungsinterventionen oder chirurgische Eingriffe beinhalten können, die primäre Behandlungsmethode. Die Forschung konzentriert sich aber zunehmend auf innovative Ansätze, die auf die Verbesserung der kognitiven Entwicklung und Lebensqualität abzielen.
Hoffnung auf neue Behandlungsmöglichkeiten machen vielversprechende gentherapeutische Ansätze, wie die minimalinvasive „Drug on Demand“ Gentherapie von fokalen Epilepsien. Hierbei wird ein Gen für das Neuropeptid Dynorphin mittels Genvektor gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion eingeschleust, um die langfristige Unterdrückung von Anfällen zu erreichen. Die Ergebnisse am Tiermodell [5] sind vielversprechend, klinische Studien folgen.
Ein weiterer innovativer gentherapeutischer Ansatz ist die Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden (ASO), die gezielt an bestimmte RNA-Abschnitte im Zellkern binden und die Bildung schädlicher Proteine verhindern können. ASOs und Gentherapie könnten unter anderem für die kausale Behandlung des Dravet-Syndroms eine Rolle spielen, tierexperimentelle Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse [6, 7].
Auch die Früherkennung und präventive Behandlung von Epilepsien gewinnt zunehmend an Bedeutung. Forschende setzen KI-basierte Deep-Learning-Methoden ein, um EEGs besser zu verstehen und die Anfallsursprungszone genauer zu lokalisieren [8]. Mobile und smarte Neurosensorsysteme sollen epileptische Anfälle im Alltag erkennen und dokumentieren [9]. Erste Patienten-Studien deuten darauf hin, dass Angiotensin-Rezeptorblocker das Risiko epileptischer Anfälle reduzieren können [10]. Bei genetisch bedingten Epilepsien wie der Tuberösen Sklerose (TSC) werden präventive Ansätze erforscht, die an der genetischen Ursache angreifen und so das Fortschreiten der Erkrankung verhindern. EEG-Anomalien vor dem Auftreten klinischer Anfälle bei TSC werden als prognostische Biomarker und Grundlage für präventive Studien genutzt [11,12].
Die Zukunft der pädiatrischen Epilepsiebehandlung
Die Zukunft der pädiatrischen Epilepsiebehandlung liegt in der Integration verschiedener Therapieansätze, von konventionellen ASM über nicht-pharmakologische Interventionen bis hin zu genbasierten Therapien. Ein multidisziplinärer Ansatz, der neurologische, psychologische und soziale Aspekte berücksichtigt, wird entscheidend sein, um die Lebensqualität von Kindern mit Epilepsie nachhaltig zu verbessern. Prof. Schubert-Bast betont, dass sich viele dieser Ansätze noch in frühen Forschungsphasen befinden und weitere Studien notwendig sind, um ihre Sicherheit und Wirksamkeit zu bestätigen. Besonders bei Kindern, deren Gehirne sich noch in der Entwicklung befinden, muss die Langzeitwirksamkeit und -sicherheit neuer Therapien sorgfältig evaluiert werden.
Literatur
[1] Schubert-Bast S, Hofstetter P, Kieslich M, Strzelczyk A. EEG bei Epilepsien im Kindesalter. Das Neurophysiologie-Labor, Volume 40, Issue 4, 2018, Pages 231-246, https://doi.org/10.1016/j.neulab.2018.06.001.
[2] Reilly C, Atkinson P, Das KB et al. Factors associated with quality of life in active childhood epilepsy: a population based study. Eur J Paediatr Neurol 2015; 19: 308-313 https://doi.org/10.1016/j.ejpn.2014.12.022
[3] Nageleise-Weiss A, Weber P. Kognitive Veränderungen bei Kindern mit Epilepsie. Epileptologie 2016; 33: 4-12
[4] Schubert-Bast S, Zöllner JP, Ansorge S, et al. Burden and epidemiology of status epilepticus in infants, children, and adolescents: A population-based study on German health insurance data. Epilepsia. 2019 May;60(5):911-920. https://doi.org/10.1111/epi.14729
[5] Agostinho AS, Mietzsch M, Zangrandi L, et al. Dynorphin-based "release on demand" gene therapy for drug-resistant temporal lobe epilepsy. EMBO Mol Med. 2019;11(10):e9963. https://doi.org/10.15252/emmm.201809963
[6] Yuan Y, Lopez-Santiago L, Denomme N, et al. Antisense oligonucleotides restore excitability, GABA signalling and sodium current density in a Dravet syndrome model. Brain. 2024 Apr 4;147(4):1231-1246. https://doi.org/10.1093/brain/awad349
[7] Gao C, Pielas M, Jiao F, et al. Epilepsy in Dravet Syndrome-Current and Future Therapeutic Opportunities. J Clin Med. 2023;12(7):2532. Published 2023 Mar 27. https://doi.org/10.3390/jcm12072532
[8] www.lmu-klinikum.de/neurologie/forschung-studien/epilepsie/35c1a05f9aa0c86d (abgerufen am 03.03.2025)
[9] www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/ressortforschung/handlungsfelder/forschungsschwerpunkte/digitale-innovation/modul-1-smarte-sensorik/mond (abgerufen am 03.03.2025)
[10] Doege C, Luedde M, Kostev K. Association Between Angiotensin Receptor Blocker Therapy and Incidence of Epilepsy in Patients With Hypertension. JAMA Neurol. 2022;79(12):1296-1302. https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2022.3413
[11] Schubert-Bast S, Strzelczyk A. Review of the treatment options for epilepsy in tuberous sclerosis complex: towards precision medicine. Ther Adv Neurol Disord. 2021 Jul 17;14:17562864211031100. https://doi.org/10.1177/17562864211031100
[12] Schubert-Bast S, Rosenow F, Klein KM, et al. The role of mTOR inhibitors in preventing epileptogenesis in patients with TSC: Current evidence and future perspectives. Epilepsy Behav. 2019 Feb;91:94-98. https://doi.org/10.1016/j.yebeh.2018.05.039
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