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Neurostimulation ohne Operation: neue Behandlungsoptionen für neurologische und psychiatrische Erkrankungen in Aussicht

Ob Parkinson, Alzheimer, Schlaganfall, Epilepsie oder chronische Schmerzen – von der Stimulation des Gehirns mit elektrischen oder magnetischen Reizen erhoffen sich WissenschaftlerInnen neue Therapieansätze bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. In der Parkinson-Behandlung ist die Tiefe Hirnstimulation etabliert – hierzu werden Elektroden ins Gehirn implantiert. Die nicht invasive Hirnstimulation bietet neue Möglichkeiten, wo traditionelle Therapien an Grenzen stoßen oder ein operativer Eingriff zu riskant ist. Prof. Ulf Ziemann, Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen, stellte anlässlich des Kongresses für Klinische Neurowissenschaften der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e.V. (DGKN23) aktuelle Neurostimulationstechniken mit dem größten Praxis-Potenzial vor: „Neue Entwicklungen der nicht invasiven Neurostimulation eröffnen bahnbrechende Möglichkeiten in der Diagnostik und Therapie von Netzwerkerkrankungen des Gehirns“, so seine Einschätzung.

Bisher am besten untersucht mit einer stark wachsenden Datenlage aus Humanstudien ist die fokussierte Transkranielle Ultraschallstimulation (fTUS) mit niedriger Intensität. Mit speziellen Schallköpfen und Ultraschallfrequenzen im Bereich von 0,5 MHz können sowohl oberflächliche als auch tiefe, fokale Hirnregionen moduliert werden. Die Technik wurde bei PatientInnen mit chronischen Schmerzen, Demenz, Epilepsie, Schädel-Hirn-Trauma und Depressionen untersucht. Ein aktueller Review fasst die Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit aus 35 Studien (n = 677) zusammen [1]. Die kurzfristigen Stimulationseffekte variierten in Abhängigkeit von den Ultraschallparametern und beeinflussten Erregbarkeit, Konnektivität des Gehirns, Plastizität sowie das Verhalten positiv. Das Nebenwirkungsprofil war geprägt durch leichtgradige Beschwerden (3,4 %, 14/425 der ProbandInnen), wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Stimmungsverschlechterung, Kopfhauterwärmung, kognitive Probleme, Nackenschmerzen, Muskelzuckungen, Angstzustände und Schläfrigkeit. „fTUS kann mit großer räumlicher Präzision bei gleichzeitiger Nicht-Invasivität zur Modulation auch tiefer Hirnareale eingesetzt werden. Das hebt diese Methode von anderen Technologien ab. Obwohl fTUS zunehmend zum Einsatz kommt, befindet sich die Methode noch in der experimentellen Phase mit der Notwendigkeit zu weiterer Erforschung. Von Vorteil ist, dass fTUS mit anderen neurophysiologischen und bildgebenden Methoden kombiniert werden kann, zum Beispiel um die physiologischen Effekte von fTUS noch besser zu verstehen“, ergänzte Ziemann [1].

Delir-Prädiktion bei Schlaganfall

Eine nach Schlaganfall häufig auftretende Komplikation ist das Post-Stroke-Delir – ein Zustand der Verwirrtheit, der die Prognose deutlich verschlechtert. Ein neuer Ansatz, ein Post-Stroke-Delir vorherzusagen und dann seiner Entwicklung gegebenenfalls vorzubeugen, ist die Transkranielle Magnetstimulation-Elektroenzephalographie (TMS-EEG), bei der die Effekte der TMS verlässlich mittels EEG aufgezeichnet werden. In einer aktuellen Querschnittstudie wurden 33 akute SchlaganfallpatientInnen innerhalb von 48 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls damit untersucht. Die TMS-EEG konnte die Entwicklung eines Post-Stroke-Delirs mit hoher Genauigkeit vorhersagen. Die Vorhersagegenauigkeit war unabhängig von der Größe der Läsion, der betroffenen Hemisphäre und der Schwere des Schlaganfalls [2]. „Diese Daten sind von potenziell erheblicher Bedeutung, da das Post-Stroke-Delir bei etwa 30 % aller SchlaganfallpatientInnen auftritt und mit einer signifikanten Verschlechterung des Gesundheitszustands assoziiert ist. Die TMS-EEG-Untersuchung kann zukünftig für präventive Strategien bei hohem Delir-Risiko eingesetzt werden, aber auch zur Diagnostik und prognostischen Einschätzung bei anderen Netzwerkerkrankungen des Gehirns, zum Beispiel bei PatientInnen mit Bewusstseinsstörungen“, kommentierte Ziemann.

Neuromodulation tiefer Hirnregionen ohne Eingriff

Eine weitere Form der Neurostimulation, die derzeit erforscht wird, ist die Temporale Interferenzstimulation (TIS). Sie nutzt zwei transkranielle Wechselstromstimulatoren (engl. transcranial alternating current stimulation, tACS), die in tiefen Hirnregionen eine temporale Interferenz auslösen können. Während an der Hirnoberfläche durch die dort vorherrschenden hohen Frequenzen (2 kHz) keine biologischen Effekte zu erwarten sind, kann in der Tiefe des Gehirns das elektrische Interferenzfeld (10 Hz) zu einer Modulation neuronaler Aktivität führen. Dies wurde tierexperimentell an Mäusen demonstriert [3, 4]. „Eine überzeugende Demonstration von neurophysiologisch relevanten TIS-Effekten beim Menschen ist noch nicht gelungen, aber mehrere Arbeitsgruppen forschen daran. Im Erfolgsfall kann damit nicht invasiv in tiefen Hirnregionen neuronale Aktivität moduliert werden, was bisher nur durch invasive Verfahren mittels der tiefen Hirnstimulation oder zukünftig auch fTUS möglich ist“, berichtete Ziemann.

Transkranielle Pulsstimulation bei Alzheimer: zu früh für die Regelversorgung

Weitere Entwicklungen sind derzeit noch in der präklinischen Phase oder werden im Rahmen einer Pilotstudie erprobt, wie zum Beispiel die ultraschallbasierte Transkranielle Pulsstimulation (TPS) bei Alzheimer. Hier emittiert eine spezielle Ultraschallsonde sehr kurze Ultraschallpulse (30 µs) mit einer Frequenz von 5 Hz. Die ersten Erfahrungen mit TPS wurden in einer nicht kontrollierten Pilotstudie mit einer kleinen Gruppe von Alzheimer-PatientInnen (n = 35) gemacht. Darin erzielten TPS-Sitzungen über einen Nachbeobachtungszeitraum von drei Monaten mit Stimulation von individuell festgelegten Regionen des „Alzheimer-Netzwerks“ positive Effekte auf Domänen der Kognition, wie „Gedächtnis“ und „verbale Funktionen“. Es wurden aber auch negative Einflüsse zum Beispiel auf visuo-konstruktive Leistungen festgestellt [5]. „Die Ergebnisse sind interessant, es gibt aber noch keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der Methode. Es müssen randomisierte, kontrollierte, doppelt verblindete Phase-II/III-Studien mit höherer Patientenzahl und längerer Nachbeobachtung folgen, um den Nutzen einer TPS besser abzuschätzen“, gab Ziemann zu bedenken [6].

Inwiefern Innovationen, zu denen bisher tierexperimentelle, präklinische Daten oder Pilotstudien vorliegen, den Sprung in die Praxis schaffen, müssen randomisierte klinische Studien noch beweisen. „Klar ist, dass vielversprechende Ansätze, wie die TMS-EEG, LIFUS und TUS, die Versorgung von PatientInnen mit Alzheimer, Epilepsie, Depressionen und Post-Stroke-Delir-Komplikationen in Zukunft relevant verbessern könnten“, schlussfolgerte Ziemann.

Literatur

[1] Sarica C, Nankoo NF, Fomenko A et al. Human Studies of Transcranial Ultrasound neuromodulation: A systemic review of effectiveness and safety. Brain Stimulation 15 (2022) 737e746.
https://doi.org/10.1016/j.brs.2022.05.002
[2] Bai Y, Belardinelli P, Thoennes C et al. Cortical reactivity to transcranial magnetic stimulation predicts risk of post-stroke delirium [published online ahead of print, 2022 Dec 7]. Clin Neurophysiol. 2022;S1388-2457(22)00960-9. https://doi.org/10.1016/j.clinph.2022.11.017
[3] Grossman N, Bono D, Dedic N et al. Noninvasive Deep Brain Stimulation via Temporally Interfering Electric Fields. Cell. 2017; 169(6):1029-1041.e16. https://doi.org/10.1016/j.cell.2017.05.024.
[4] Lozano AM. Waving Hello to Noninvasive Deep-Brain Stimulation. N Engl J Med. 2017; 377(11):1096-1098. https://doi.org/10.1056/NEJMcibr1707165
[5] Beisteiner R et al. Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s Disease – A New Navigated Focal Brain Therapy. Adv Sci (Weinh) 2020. 7:1902583.
https://doi.org/10.1002/advs.201902583
[6] https://dgkn.de/dgkn/presse/pressemitteilungen/345-zu-frueh-fuer-die-regelversorgung-transkranielle-pulsstimulation-tps-bei-alzheimer

 
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Sandra Wilcken, c/o albertZWEI media GmbH, Tel.: +49 (0) 89 461486-11, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

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Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. vertritt die Interessen von MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft mit über 4.000 Mitgliedern fördert die Erforschung von Gehirn und Nerven, sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten und treibt Innovationen auf diesem Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen. www.dgkn.de